Memphis
Minnie (Elizabeth Douglas 1897 - 1973)
Blickt
man zurück in die 20er Jahre, als Jazz- und Bluesmusik erstmals auf Tonträger
festgehalten wurde, ist verwunderlich, daß diese erste Phase des "Recorded
Blues" hauptsächlich von Sängerinnen geprägt wurde. Bessie Smith, Sippie
Wallace und Ma Rainey sind einige der bekanntesten Vertreterinnen die damals große
Erfolge, vor allem beim schwarzen Publikum, feierten. Diese, in Glitzer und
Glamour präsentierten Damen, wurden von bluesorientierten Jazzbands begleitet,
deren Sound von Piano und Blasinstrumenten geprägt war. Als erster vermarkteter
Bluestitel gilt der "Crazy Blues", 1920 von Mamie Smith eingespielt.
Etwa
fünf Jahre später, als die Plattenfirmen ihre ersten Erfahrungen mit schwarzer
Musik gesammelt hatten, kamen dann auch Gitarristen zum Zuge, die den puren,
ursprünglichen "Downhome Blues"verkörperten. Und plötzlich war es
vorbei mit der weiblichen Vorherrschaft, ja die Zahl der Bluessängerinnen; die
sich auch noch selbst auf der Gitarre begleiteten, ging gegen Null. Ursache
waren die sozialen Umstände der Zeit. Auch das Image des Bluesmusikers hatte
sich im Vergleich zu den Vorjahren stark verändert. Der ungeregelte
Lebenswandel eines umherstreifenden Musikers war für eine Frau undenkbar, stand
eine schwarze Frau in der gesellschaftlichen Hirarchie, noch weit hinter dem
schwarzen Mann, an letzter Stelle.
Eine
Musikerin, die dennoch diesen außergewöhnlichen Weg beschritt, war Memphis
Minnie. Am 3. Juni 1897 wurde sie als ältestes von 13 Kindern in Algiers,
Lousiana geboren. Sie wuchs in Walls, Mississippi circa 20 Meilen südlich von
Memphis, am Highway 61 gelegen, auf. Nachdem sie als Kind bereits einige Jahre
Banjo gespielt hatte bekam sie mit 11 Jahren ihre erste Gitarre. Auf den Straßen
von Memphis und Walls, sowie den umliegenden Ortschaften, war Memphis Minnie
(sie verwendete diesen Namen auch bald in ihrem Privatleben, ihre Familie nannte
sie immer einfach Kid) schon im Teenageralter mit ihrer Gitarre zu sehen und zu
hören. Ihr erster Ehemann war warscheinlich Casey Bill Weldon, der zu jener
Zeit bei der Memphis Jug Band aktiv war. Zuvor verband sie eine musikalische
Zusammenarbeit mit Jed Davenports Bealestreet Jug Band, dem Ringling Brothers
Circus in Clarksdale und vor allem Willie Brown, der durch seine spätere
Partnerschaft mit Charley Patton bekannt wurde. Es sollte ein typisches Merkmal
von Memphis Minnie werden, daß sie sich stets mit Partnern zusammentat, die
ebenfalls Gitarristen waren. 1929 heiratete sie Joe Mc Coy, mit dem sie im Juni
desselben Jahres ihre ersten Aufnahmen
für
Columbia machte. Der "Bumble Bee Blues" wurde der Hit dieser Session.
Er verkaufte sich so gut, daß sie ihn gleich in verschiedenen Versionen für
unterschiedliche Labels aufnahm. Es folgte eine ganze Serie an Recordings für
Columbia, Vocalion, Decca, Okeh und Bluebird. Sowohl als Sänger wie auch als
Gitarrist waren sich die beiden ebenbürtig und so entstanden herrliche
musikalische Konversationen, geprägt von Spannung und Lebendigkeit. Memphis
Minnie spielte sicherlich noch etwas phantasievoller als Kansas Joe Mc Coy, der
ihre Sololäufe und Fill-ins mit gefühlvoller Rhythmusarbeit und einprägsamen
Basslinien untermalte.
Memphis
Minnie kam jede Neuerung gelegen, die es ihr in dieser "vorelektrischen
Zeit" ermöglichte, mehr Lautstärke und Durchsetzungsvermögen zu
erzielen. Sie war eine der ersten, die bereits 1929 ein National spielte und
Mitte der dreißiger Jahre auf eine mit Pickup bestückte National Archtop
wechselte.
Ungefähr
1932/33 trafen Memphis Minnie und Kansas Joe Mc Coy in Chicago ein um ihre
musikalische Laufbahn dort fortzusetzen. Weitere gemeinsame Aufnahmen
entstanden, doch arbeitete Memphis Minnie nun auch mehr und mehr in größeren
Besetzungen. Einige ihrer Partner waren der Pianist Black Bob Hudson,
Schlagzeuger Fred Williams und der "King" der Chicagoer Bluesszene der
30er/40er Jahre, Big Bill Broonzy.
Damit gehörte sie neben Tampa Red, Big Bill Broonzy, Tom Dorsey und anderen zum
Dunstkreis von Lester Melrose. Er vermittelte Musiker an die führenden Labels
und war Dreh- und Angelpunkt in Chicago.
Ernest
"Little Son Joe" Lawlar wurde 1939 der (dritte?) Ehemann von Memphis
Minnie und natürlich war auch er Gitarrist. Mit ihm im Duo, als auch ergänzt
durch Piano und Schlagzeug wurden Anfang der 40er Jahre weitere hörenswerte
Aufnahmen eingespielt. Als sich im Laufe der 40er die populäre Stilistik mehr
und mehr elektrifizierte und der Rck n Roll als DIE neue, revolutionäre Musik
in den Startlöchern stand wurde der Markt zunehmend eng. Nachdem 1949 die
letzten Aufnahmen für das Regal Label eingespielt wurden und sich der
Gesundheitszustand Memphis Minnies verschlechtert hatte verschwand sie aus dem
Rampenlicht.
Memphis
Minnie war als Sängerin, Gitarristin und Songwriterin eine Klasse für sich.
Vor allem ihre erste Phase, als sie akustische Gitarre spielte, ist aufgrund der
einprägsamen Licks und der "sparsamen" Spielweise für jeden
Gitarristen interessant. Solistisch war sie hierbei ihren männlichen Partnern
weitgehend überlegen. Einige ihrer Titel entwickelten sich zu echten
Bluesstandards, die bis heute Bestand haben. Ihre Musik zeigt den Weg von den
ersten Bluesaufnahmen des Mississippi Deltas bis hin zum elektrischen
Chicagoblues der anschließend von Leuten wie Muddy Waters, Jimmy Rogers oder
Howling Wolf weiterentwickelt wurde. Wer mehr über Memphis Minnie erfahren möchte,
dem sei das Buch "Woman with a guitar" - Memphis Minnie`s Blues von
Paul und Beth Garon (Da Capo Press 1992) ans Herz gelegt. Auf CD sind vor allem
"Bumble Bee"-The Essential Recordings of Memphis Minnie (Indigo
IGOCD-2005) und "Memphis Minnie - Early Rhythm and Blues" (Biograph
BCD 124) zu empfehlen.